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Aktuelle Urteile und häufige Fragen

von Robert Apitzsch 27 Dez., 2022
Sofern das Führen eines PKW eine Verpflichtung im Rahmen des Arbeitsvertrages darstellt, kann die alkoholbedingte Entziehung der Fahrerlaubnis mitunter zur außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber berechtigen. Doch was ist, wenn der Arbeitnehmer alternative Möglichkeiten auf eigene Kosten anbietet, um diese Zeit zu überbrücken? Mit dieser Problematik hatte sich vorliegend das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz zu befassen. Sachverhalt Zwischen den Parteien bestand seit 1999 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war dabei als Key-Account-Manager tätig, dessen Aufgaben im Besuch und insbesondere der Beratung der Kunden der Beklagten bestand. Für die Stelle des Key-Account-Managers gab es hierbei ein Anforderungsprofil, welches unter anderem die hohe Reisebereitschaft, Flexibilität und damit einhergehend einen gültigen Führerschein voraussetzte. Die Kundenbesuche erfolgten dabei mit dem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Dienstwagen, welcher auch privat gefahren werden durfte. Zur Benutzung des Dienstwagens verpflichtete sich der Kläger zudem, niemals unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zu fahren. Am 13.10.2019 verursachte der Kläger mit dem Dienstwagen einen Verkehrsunfall, indem er bei überhöhter Geschwindigkeit und unter Alkoholeinfluss von der Fahrbahn abkam. In Folge der Unfallaufnahme der Polizei und der nachgehenden Untersuchungen wurde dem Kläger zunächst vorläufig der Führerschein abgenommen. Zur Überbrückung der nicht fahrbereiten Zeit bot der Kläger mehrfach an, auf eigene Kosten einen Fahrer einzustellen um die Kundentermine wahrnehmen zu können. Nachdem das Amtsgericht ihm den Führerschein entzogen und eine Sperrzeit von 12 Monaten angeordnet hatte kündigte die Beklagte nach Anhörung des Betriebsrates das Arbeitsverhältnis am 21.10.2019 außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Hiergegen erhob der Kläger die Kündigungsschutzklage. Mit Urteil vom 02.09.2020 stellte das AG Ludwigshafen fest, dass das Arbeitsverhältnis weder außerordentlich, noch ordentlich aufgelöst wurde und verurteile die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers. Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Entscheidung Mit seinem Urteil vom 06.09.2021 wies das LAG die Berufung zurück, weil ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB nicht bestehe. Zwar liege mit der Entziehung der Fahrerlaubnis ein Umstand vor, welcher grundsätzlich geeignet sei, als wichtiger personenbedingter Grund nach § 626 BGB angesehen zu werden. Dies habe das BAG für Berufskraftfahrer auch bei privat verursachten Unfallfahrten unter Alkoholeinfluss angenommen. Zudem gelte dies auch für jene Fälle, in denen das Führen des PKW nicht die alleinige, jedoch eine wesentliche Verpflichtung aus dem Arbeitsvertrag darstelle, ohne die die Haupttätigkeit nicht ausgeübt werden könne. Da der Kläger vorliegend kein Berufskraftfahrer war, liege die Darlegungslast somit bei der Beklagten, ob und inwieweit die Tätigkeit nicht ohne Fahrerlaubnis auszuüben sei. Doch selbst, wenn man vorliegend davon ausginge, dass die Tätigkeit des Klägers nur unter Nutzung eines PKW ausgeübt werden könne - und dessen Nutzung somit Teil der geschuldeten Arbeitsleistung sei - so führe dies nicht automatisch dazu, dass die Kündigung als wirksam anzusehen ist. Unter Berücksichtigung des „ultima ratio“ Prinzips, wonach die Kündigung das letzte Mittel darstellt, ist zu überprüfen, ob mildere Mittel - so etwa Versetzung oder Anpassung der Vertragsbedingungen - ergriffen werden können. Dass dies nicht möglich sei, wurde von der Beklagten jedoch nicht vorgetragen. Denn vorliegend hatte der Kläger bereits vor Erhalt der Kündigung den Vorschlag unterbreitet, für die Wahrnehmung der Kundenbesuche entweder auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen oder sich auf eigene Kosten einen privaten Fahrer zu organisieren. Beide Lösungsvorschläge stellen dabei eine mildere Alternative zum Ausspruch der Kündigung dar, gegen welche weder rechtliche Gründe, noch solche der Zumutbarkeit sprechen. Die von der Beklagten geäußerten Bedenken hinsichtlich längerer Anfahrtswege, Verspätungen und Wartezeiten waren dabei zu pauschal und machten nicht deutlich, dass der Beklagten oder deren Kunden erhebliche Nachteile entstünden. Eine vertragliche Anpassung, welche dem Kläger die Einstellung eines persönlichen Fahrers ermöglicht hätte, wäre für den Zeitraum der Entziehung möglich und als milderes Mittel daher vorrangig gewesen. Weil sich der Kläger zudem einer Therapie unterzog und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung seinen Führerschein bereits zurückerhalten hatte, fiel auch eine Zukunftsprognose zugunsten des Klägers aus. Mit einer Wiederholung des Fehlverhaltens sei vorliegend nicht zu rechnen. Fazit Der Führerscheinverlust aufgrund einer alkoholbedingten Unfallfahrt bleibt auch weiterhin ein möglicher Kündigungs-grund. Jedoch müssen zur Bewertung der Erfolgsaussichten der Kündigung stets auch die weiteren Begleitumstände herangezogen werden. Bieten sich den Arbeitsvertragsparteien andere Möglichkeiten, um den Verlust des Führerscheins abzumildern bzw. diesen zu kompensieren, so müssen diese ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Eine pauschale Ablehnung aufgrund befürchteter Nachteile reicht hierbei nicht aus. Bietet der Arbeitnehmer folglich alternative Lösungen an, um die Zeit ohne Führerschein zu überbrücken, so kann hierdurch eine Kündigung durchaus erfolgreich abgewehrt werden.
von Robert Apitzsch 10 Nov., 2022
Das LAG Hessen hatte in dem vorliegenden Verfahren darüber zu entscheiden, ob die beklagte Arbeitgeberin bei den Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag mit dem Arbeitnehmer dessen Arbeitsunfähigkeit ausnutzte und dadurch gegen das Gebot des fairen Verhandelns verstieß. Sachverhalt Ausgangspunkt des Verfahrens waren die Verhandlungen und der Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Nachdem der Kläger seit Juli 2014 bei der Beklagten beschäftigt war teilte er dieser im April 2016 mit, dass er gemobbt werde. Dies wirke sich auf seinen Schlaf und seine psychische Gesundheit aus, woraufhin der Kläger arbeitsunfähig erkrankte. Die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag begannen im November 2017. Nachdem die Beklagte dem Kläger im Dezember einen Entwurf zugesandt hatte, lies der Kläger diesen von einem Rechtsanwalt prüfen. Nach Nachverhandlungen bezüglich vereinzelter Punkte im Januar 2018 wurde der Aufhebungsvertrag von beiden Parteien unterschrieben. Das Arbeitsverhältnis endete daraufhin zum Ende des Jahres 2019, bis dahin erfolgte eine bezahlte Freistellung des Klägers. Mit der Klage machte der Kläger nunmehr geltend, dass der Aufhebungsvertrag in dieser Form nur geschlossen wurde, weil die Beklagte das Gebot des fairen Verhandelns verletzt habe. Sie habe seine Arbeitsunfähigkeit, seine psychischen Probleme sowie seinen Zustand unter Medikamenteneinfluss ausgenutzt. Die Klage wurde durch das Arbeitsgericht in erster Instanz abgewiesen. Mit der Berufung vor dem LAG Hessen verfolgte der Kläger sein Ziel weiter. Entscheidung Doch auch das LAG Hessen wies in seiner Entscheidung vom 11.06.2021 die Berufung und das Begehren des Klägers zurück. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns könne nicht gesehen werden. Ein solcher Verstoß sei anzunehmen, wenn eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erschwert oder gar unmöglich gemacht werde, indem eine psychische Drucksituation aufgebaut oder ausgenutzt wird. Neben Sprachbarrieren oder körperlichen und psychischen Problemen kommt auch eine zeitliche Überrumpelung in Betracht. Ob ein Verstoß vorliegt ist letztlich jedoch am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB für jeden Einzelfall zu beurteilen. Davon sei im vorliegenden Fall jedoch nicht auszugehen. Zum einen lag schon keine Überrumpelung des Klägers vor, weil sich die Verhandlungen über mehrere Wochen erstreckten und der Kläger sogar die Möglichkeit nutzte, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Vom Beginn der Verhandlungen im November 2017 bis zur beiderseitigen Unterzeichnung im Januar 2018 gab es zudem mehrere Nachverhandlungstermine, in denen der Kläger Einwendungen hätte vorbringen und eigene Wünsche vorlegen können. Eine unfaire Behandlung oder das Ausnutzen einer Schwächephase des Klägers kann hierin nicht erkannt werden. Der zudem geltend gemachte Medikamenteneinfluss in der Zeit der Verhandlung sei zum anderen ebenso wenig ausreichend dargelegt worden. Dass diese Beeinflussung bereits in der Zeit der Verhandlung vorgelegen hätte und den Kläger beeinflusste, sei nicht erkennbar und von diesem im Verhandlungszeitraum auch nicht vorgebracht worden. Der Aufhebungsvertrag sei somit wirksam und ohne Verstöße gegen geltende Grundsätze zustande gekommen. Fazit Grundsätzlich bleibt es somit natürlich dabei, dass die Vertragsparteien bei ihren Verhandlungen den Grundsatz des fairen Verhandelns wahren müssen. Dieser ist, wie das vorliegende Urteil bestätigt, jedoch nicht schon deshalb verletzt, weil die Gegenseite arbeitsunfähig ist. Auch in diesen Fällen kann unter Gewährung ausreichender Bedenkzeit sowie einer externen Kontrolle durch einen herbeigezogenen Rechtsanwalt und mehreren Besprechungsterminen ein fair ausgehandeltes Vertragsergebnis erzielt werden.
von Robert Apitzsch 11 Okt., 2022
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte sich mit einer Kündigung zu befassen, welche aufgrund verächtlicher Äußerungen über den Messenger-Dienst WhatsApp ausgesprochen wurde. Wie das Gericht entschied und ob das Arbeitsverhältnis weiter fortbesteht, dazu mehr. Sachverhalt Der Entscheidung lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger arbeitete als technischer Leiter für die Beklagte, welche als gemeinnütziger Verein in der Flüchtlingshilfe tätig ist. Mitglieder dieses Vereins sind neben Landkreisen und Gemeinden auch Städte und andere Vereine. Infolge der Kündigung eines anderen Beschäftigten erhielt der Verein Kenntnis von Äußerungen, welche innerhalb eines WhatsApp-Chats zwischen diesem, dem Kläger und einem weiteren Beschäftigten erfolgten. Die von den Beteiligten getätigten Äußerungen waren dabei menschenverachtend, herabwürdigend und richteten sich insbesondere gegen Geflüchtete und Helfer. Auch die Presse erhielt Kenntnis von den Äußerungen, was letztlich dazu führte, dass der Verein das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgemäß kündigte. Entscheidungsgründe Das Arbeitsgericht Brandenburg gab der Kündigungsschutzklage statt, woraufhin der Verein Berufung einlegte. Über diese hatte nunmehr das LAG Berlin-Brandenburg zu entscheiden. Das LAG bestätigte hierbei die Entscheidung der ersten Instanz und erklärte die Kündigung aufgrund der getätigten Äußerungen für unwirksam. Eine Pflichtverletzung des Klägers aufgrund der Äußerungen könne nicht festgestellt werden. Dies wurde insbesondere damit begründet, dass die Äußerungen - so verachtend und herabwürdigend sie auch sein mögen - innerhalb eines privaten Chats erfolgten. Gerade die vertrauliche Kommunikation falle jedoch unter den Schutzbereich des grundrechtlich verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies war hier zu berücksichtigen, weil deutlich erkennbar sei, dass die Äußerungen vertraulich bleiben und nicht an Dritte außerhalb des Chats gelangen sollten. Weil der Kläger als technischer Leiter zudem keine unmittelbaren Betreuungsaufgaben ausführte und somit seine persönliche Eignung bzgl. seiner Arbeitsaufgaben nicht in Frage gestellt werden konnte, war auch hierin keine wirksame Kündigungsbegründung zu sehen. Das LAG hat das Arbeitsverhältnis jedoch - anders als die erste Instanz - auf Antrag des Vereins gegen Zahlung einer Abfindung aufgelöst. Diese Möglichkeit ergibt sich aus § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG. Demnach kann das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis trotz unwirksamer Kündigung auflösen, wenn eine weitere Zusammenarbeit der Parteien unter Berücksichtigung der Betriebszwecke nicht zu erwarten ist. Dies war hier nach Ansicht des Gerichts der Fall. Durch die Veröffentlichungen der Äußerungen durch die Presse stand der Verein unter besonderem Augenschein. Als Verein, der sich der Aufnahme, Betreuung und Unterstützung von Flüchtlingen widme, sei es nicht tragbar - und auch nicht glaubwürdig vermittelbar - die Zusammenarbeit mit dem Kläger fortzuführen. Zudem hindere das Verhalten den Verein bei der Gewinnung neuer, ehrenamtlicher Mitarbeiter. Dem Kläger war daher eine Abfindung zu zahlen um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz gewonnener Kündigungsschutzklage zu kompensieren. Die Höhe der Abfindung richtet sich dabei nach den Umständen des Einzelfalls. Das LAG hat hierbei sowohl die Verursachung des Zerwürfnisses durch den Kläger, als auch die Vertraulichkeit der getätigten Äußerungen in seine Abwägung einbezogen. Fazit Auch wenn das LAG die Revision des Verfahrens zum BAG zugelassen hat bleibt dennoch erneut festzuhalten, dass der Bereich privater Lebensführung grundsätzlich nicht Grundlage einer Kündigung werden darf. Ausnahmen gelten hierbei für solches Verhalten, welches sich unmittelbar auf die Ausübung der arbeitsvertraglichen Pflichten auswirkt. Im vorliegenden Fall sprach es insbesondere zugunsten des Klägers, dass dieser als technischer Leiter keinen direkten Kontakt zu den Betreuten und Betreuenden des Vereins hatte. Sofern eine solche Nähe bestanden hätte, hätten die Äußerungen direkte Auswirkungen haben können - was letztlich auch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung hätte führen können.
von Robert Apitzsch 29 Sept., 2022
Kaum ein arbeitsrechtliches Thema ist so brisant wie das Urlaubsrecht. Nachdem es in den letzten Jahren bereits Entscheidungen zum Verfall von nicht genommenen Urlaubstagen sowie zum Urlaubsanspruch bei Langzeiterkrankung gab, wurde nun eine Entscheidung des EuGH [C-120/21] zur Verjährung des Urlaubsanspruchs veröffentlicht. Ausgangsfall Ausgangspunkt dieser Entscheidung war hierbei die Klage einer Arbeitnehmerin, welche von 1996 bis 2017 für die Beklagte als Steuerfachangestellte tätig war. Nachdem das Arbeitsverhältnis Ende Juli 2017 beendet wurde, klagte die Arbeitnehmerin nun also auf Abgeltung ihres nicht genommenen Jahresurlaubs der Jahre 2013 bis 2017 - in Höhe von 101 bezahlten Urlaubstagen. Ihren Urlaub konnte sie aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in dieser Zeit nicht vollständig wahrnehmen. Eine Aufforderung den Urlaub wahrzunehmen oder ein Hinweis auf den drohenden Verfall der Urlaubstage erfolgte durch die Beklagte nicht. Die Beklagte lehnte die Zahlung ab und erhob unter anderem die Einrede der Verjährung. Die erste Instanz sah dabei einen Urlaubsanspruch für das Jahr 2017 teilweise als begründet an, bezüglich der Jahre 2013 bis 2016 wurde die Klage jedoch abgewiesen. Hiergegen legte die Klägerin Berufung ein. Das Landesarbeitsgericht sprach der Klägerin weitere 76 Urlaubstage zu, weil die Beklagte ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen war. So könne weder von einem Verfall, noch von einer Verjährung der Ansprüche ausgegangen werden. In der Folge legte die Beklagte die Revision zum Bundesarbeitsgericht ein, welches wiederrum die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegte. Problematik Es ging hierbei vor allem um die Frage, ob die deutschen Regelungen zur Verjährung (§§ 194 Abs.1 ff. BGB) mit Blick auf das Unionsrecht auf den Urlaubsanspruch angewendet werden könnten, auch wenn der Arbeitgeber den erforderlichen Hinweis- und Mitwirkungsverpflichtungen nicht nachgekommen war. Der Urlaubsanspruch ist sowohl in Artikel 31 Abs. 2 der Grundrechte-Charta, als auch in Artikel 7 der Richtlinie 2003/88 verankert und wird dabei aufgrund seiner Bedeutung für den Gesundheitsschutz als wesentlicher Grundsatz des europäischen Sozialrechts angesehen. Der Anspruch auf bezahlten Urlaub könne daher nur dann verloren gehen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit zur Wahrnehmung des Urlaubs hatte. Sofern diese Voraussetzung vorliegt, könne der Urlaub aufgrund entsprechender nationaler Regelungen beschränkt werden oder sogar ganz verfallen. Nach § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre und ist dabei grundsätzlich auch auf den Urlaubsanspruch anwendbar, gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt diese Verjährungsfrist mit Schluss des Urlaubsjahres. Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2013 wäre demnach bereits am 01.01.2017 verjährt. Eines der Hauptargumente für die Anwendung der Verjährung ist dabei die Rechtssicherheit und der Rechtsfrieden, welche spätestens nach drei Jahren für beide Seiten bestehen würden. Insbesondere aus Sicht der Arbeitgeber besteht dabei ein großes Interesse, nicht nach Jahren mit offenen Urlaubsansprüchen konfrontiert zu werden. Entscheidung Der EuGH erteilte der Anwendung der deutschen Verjährungsregelungen nun eine [vorhersehbare] Absage - zumindest in genau den Fällen, in denen den Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen wurde. Wie bereits in den vorherigen Entscheidungen stellte der EuGH hierbei zum einen auf das Kräfteungleichgewicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ab, weshalb die Aufgabe der Urlaubswahrnehmung nicht allein auf den Arbeitnehmer verlagert werden dürfe, zum anderen auf die immense Bedeutung des Erholungsurlaubs für den Gesundheitsschutz. Bereits in der Max-Planck-Entscheidung von 2018 [C-684/16] wurden aus diesen Gründen die Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers als wesentliche Voraussetzung für den möglichen Verfall des Urlaubsanspruchs angesehen. Ein Arbeitgeber, der diesen Verpflichtungen nicht nachkomme und seine Arbeitnehmer nicht ausreichend in die Lage versetze, den Urlaub vollständig wahrzunehmen, dürfe nun folglich nicht auch noch durch die Verjährung dieser Ansprüche einen Vorteil erlangen. Zwar sei die Gewährung der Rechtssicherheit durchaus als berechtigtes Interesse des Arbeitgebers und als Ziel der Verjährung anzuerkennen, sie dürfe jedoch nicht dazu verwendet werden, die versäumten Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers bei der Urlaubswahrnehmung zu enthebeln und sich diesen zu entziehen. Unter Berücksichtigung des Kräfteungleichgewichts zwischen den Arbeitsparteien könne die Anwendung der Verjährungsregelungen in diesen Fällen zu einem nicht zu billigenden Verhalten führen. Als Arbeitgeber könne man eine mehrjährige Ansammlung von Urlaubsansprüchen zudem durch Vorkehrungen aus eigener Hand unterbinden, indem man seinen Mitwirkungsverpflichtungen nachkommt. Auch hierdurch könne die bezweckte Rechtssicherheit gewährleistet werden, denn in diesen Fällen wird eine unbegrenzte Ansammlung ohnehin unterbunden. Die Revision der Beklagten im Ausgangsfall dürfte durch das Bundesarbeitsgericht somit abgewiesen werden, wodurch der Klägerin entsprechend der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts die dort zugesprochenen Urlaubstage erhält. Weitere Entscheidung Doch der EuGH hatte sich zugleich mit einer weiteren urlaubsrechtlichen Frage zu befassen. Bereits 2011 wurde entschieden, dass der Urlaubsanspruch bei einer Langzeiterkrankung bei Vorliegen entsprechender Regelungen nach 15 Monaten verfallen kann [EuGH „KHS“- Entscheidung - C-214/10]. Dies setzte jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer gerade aufgrund der Langzeiterkrankung nicht in der Lage war, den Urlaub überhaupt wahrnehmen zu können. Doch was ist, wenn der Arbeitnehmer zu Beginn des Jahres noch arbeitsfähig ist und erst dann die Langzeiterkrankung eintritt? Was passiert dann mit dem Urlaubsanspruch? Der EuGH entschied nun, dass es für diese Frage ebenfalls auf die Erfüllung der Mitwirkungspflichten durch den Arbeitgeber ankomme. Denn nur durch diese könne der Arbeitnehmer wirklich in die Lage versetzt werden, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen. Sofern also der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nachgekommen ist und danach die Langzeiterkrankung eintrat könne der Urlaubsanspruch nach 15 Monaten verfallen. Sollte der Arbeitgeber diesen Verpflichtungen jedoch nicht ausreichend nachgekommen sein und war der Arbeitnehmer somit nicht in der Lage zur Urlaubswahrnehmung, so kann sich der Arbeitgeber nicht auf den Verfall des Urlaubsanspruchs berufen. Der Urlaub für dieses Jahr bleibt dem Arbeitnehmer somit auch über den Ablauf der 15 Monate erhalten. Fazit Die vorliegenden Entscheidungen des EuGH zum Urlaubsanspruch kommen nicht unerwartet. Bereits anhand der Entscheidungen der letzten Jahre war abzusehen, welche Gewichtung dem Urlaub im Rahmen des Gesundheitsschutzes und im Unionsrecht beigemessen wird und welche Aufgaben von den Arbeitgebern erwartet werden. Grundsätzlich bleibt es eine einfache Rechnung: Kommen Arbeitgeber ihren Mitwirkungsverpflichtungen nach und ermöglichen ihren Arbeitnehmern somit die Urlaubswahrnehmung, so können die nicht genommenen Urlaubstage verfallen und können nicht über mehrere Jahre hinweg angesammelt werden. Kommen sie diesen Verpflichtungen jedoch nicht nach, steht einer Ansammlung der Urlaubstage weder ein Verfall, noch die Verjährung entgegen.
von Robert Apitzsch 19 Sept., 2022
Dass die Arbeitszeiterfassung früher oder später kommen würde, das war spätestens seit der „Stechuhr“-Entscheidung des EuGH von 2019 [C-55/18] bekannt, die genaue Umsetzung bzw. deren Grundlage jedoch seit Jahren in der Diskussion zwischen den beteiligten Ministerien. Das Bundesarbeitsgericht hat nun mit seiner Entscheidung die Initiative übernommen und die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung quasi selbst eingeführt, indem es zunächst eine weitreichende Pressemitteilung veröffentlichte. Worum es in der Entscheidung ging und welche Folgen diese Entscheidung hat, dazu mehr. Initiativrecht des Betriebsrates? Eigentlich ging es in der vorliegenden Entscheidung um eine Streitigkeit zwischen den Arbeitgeberinnen eines gemeinsamen Betriebes und dem darin bestehenden Betriebsrat. Zwischen den Parteien wurde zunächst eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit geschlossen, die Verhandlungen bezüglich einer entsprechenden Vereinbarung zur Arbeitszeiterfassung kamen jedoch ohne Ergebnis zum Erliegen. Nachdem der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle beantragt hatte, rügten die Arbeitgeberinnen deren Zuständigkeit. Der Betriebsrat beantragte in der Folge im Rahmen des Beschlussverfahrens die Feststellung, dass ihm hinsichtlich der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung ein Initiativrecht nach § 87 BetrVG zustehe. Nachdem das LAG dem Antrag des Betriebsrats zunächst stattgab, musste sich nun also das BAG mit der erhobenen Rechtsbeschwerde befassen. Entscheidung Das Bundesarbeitsgericht gab der Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberinnen nun also statt - über die Begründung dürften sich diese jedoch eher weniger erfreuen. So entschied das BAG, dass das Initiativrecht des Betriebsrates bereits nach dem Wortlaut des § 87 Abs. 1 BetrVG nur dann angenommen werden könne, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht […] . Doch genau dies sei hier in Form des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG der Fall. Danach hat der Arbeitgeber zur Sicherung des Arbeitsschutzes für eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen. Unter Berücksichtigung der o.g. Entscheidung des EuGH aus 2019 könne eine unionsrechtliche Auslegung dieser Bestimmung nur dahingehend erfolgen, dass Arbeitgeber bereits gesetzlich verpflichtet sind, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu erfassen. Hierbei komme es zudem nicht darauf an, ob ein Betriebsrat besteht oder nicht, denn das ArbSchG gilt bis auf wenige Ausnahmen für alle Arbeitsverhältnisse. Folgen Die Folgen dieser Entscheidung sind zunächst deutlich. Auch wenn eine gesetzliche Umsetzung der EuGH-Entscheidung weiter auf sich warten lässt, so kommt es auf eine solche wohl gar nicht mehr an. Unter Anwendung des § 3 ArbSchG müssen sich nunmehr alle Arbeitgeber mit der Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer befassen. Während dies in großen Unternehmen bereits durch elektronische Mittel oder mittels Stechuhr praktiziert wird, müssen wohl vor allem kleine Betriebe ein entsprechendes System einführen. Wie genau sich das BAG die Umsetzung dieser Verpflichtung vorstellt lässt sich der bisher vorliegenden Pressemitteilung noch nicht entnehmen, es muss hier somit zunächst auf die ausführlichen Entscheidungsgründe des Urteils gewartet werden. Fragen wirft das Urteil dennoch insbesondere für die Bereiche des Homeoffice sowie der mobilen Arbeit auf. Vor allem in diesen Arbeitsmodellen wurde bisher oftmals auf eine Vertrauensarbeitszeit gesetzt, eine strikte Erfassung der Arbeitszeit könnte hier für Änderungen sorgen. Wie sich diese Arbeitsmodelle unter Berücksichtigung der BAG-Entscheidung beibehalten lassen wird sich daher zeigen. Sobald die Entscheidungsgründe in Gänze vorliegen gibt es hierzu ein Update.
von Robert Apitzsch 19 Sept., 2022
Zunächst die eher ernüchternde Feststellung. Eine gesetzliche Pflicht bzw. einen solchen Anspruch auf eine Abfindung gibt es für Arbeitnehmer grundsätzlich nicht. Auch wenn Sie aus betrieblichen Gründen gekündigt werden und somit für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Anlass bzw. Grund gegeben haben, bedeutet dies nicht automatisch, dass Sie definitiv einen finanziellen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes erhalten. Es gibt jedoch Situationen, in denen eine Abfindung dennoch in Betracht kommt. Dringende betriebliche Gründe, § 1a KSchG Zunächst sei dabei auf die Regelung des § 1a KSchG verwiesen. Sofern die Kündigung auf dringende betriebliche Gründe gestützt wird und Sie Ihr Arbeitgeber auf die Regelung des § 1a KSchG hinweist, können Sie durchaus einen Anspruch auf eine Abfindung haben. Dieser Anspruch entsteht dann, wenn Sie die dreiwöchige Frist zur Einlegung einer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG verstreichen lassen. Das sorgt letztlich dafür, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für beide Seiten unkompliziert und möglichst schnell abgeschlossen werden kann. Wichtig ist jedoch, dass Ihr Arbeitgeber auf die Voraussetzungen hinweist und die Abfindung nicht explizit ausschließt. Die Höhe der Abfindung berechnet sich dann nach § 1a Abs. 2 KSchG derart, dass Sie pro Beschäftigungsjahr ein halbes Brutto-Monatsgehalt erhalten. Tarifvertrag/Arbeitsvertrag Weiterhin kann eine Abfindung im Rahmen Ihres Arbeitsvertrages, wohl eher jedoch durch eine Betriebsvereinbarung oder einen geltenden Tarifvertrag geregelt sein. Die Voraussetzungen richten sich dann nach dieser jeweiligen Regelung, weshalb hier im Vorfeld keine verbindliche Größenordnung angegeben werden kann. Bei einer gemeinsamen Prüfung der einschlägigen Regelungen kann jedoch überprüft werden, ob ein Anspruch besteht und wenn ja, ob dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Aufhebungsvertrag/Vergleich Letztlich könnte eine Abfindung im Rahmen eines Aufhebungsvertrages sowie eines gerichtlichen Vergleiches möglich sein. Ersteres ist dabei die für beide Seiten schnellste Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden, insbesondere wenn beide Seiten daran interessiert sind. Hierbei ist jedoch Verhandlungsgeschick gefragt, da die Abfindung nicht zwingend gewährt werden muss. Auch die Höhe orientiert sich zwar grundsätzlich an der Regelung des § 1a Abs. 2 KSchG, kann jedoch je nach Verhandlungsposition und -geschick variieren. Gleiches gilt für den gerichtlichen Vergleich. Sollte es aufgrund der Kündigung letztlich doch zum gerichtlichen Kündigungsschutzverfahren gekommen sein, so sind die Parteien - insbesondere Arbeitgeber - dennoch häufig daran interessiert, dass Arbeitsverhältnis möglichst zeitnah zu beenden. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass der Ausgang des Verfahrens mitunter ungewiss ist, die Hürden für Arbeitgeber mitunter hoch sind und weil sich der Arbeitgeber der Gefahr des Annahmeverzugs aussetzt. In Form eines gerichtlichen Vergleiches kann so für beide Seiten doch noch eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden. Die Höhe der Abfindungen lässt sich auch hier nicht pauschal beziffern, richtet sich aber insbesondere nach dem bestehenden Prozessrisiko und der Erfolgsaussichten des Parteien. Fazit Es bleibt daher festzuhalten, dass eine Abfindung zwar nicht immer garantiert ist. Jedoch ist es unter den richtigen Voraussetzungen und mit entsprechender fachlicher Beratung durch einen Rechtsanwalt durchaus möglich, den Verlust des Arbeitsplatzes finanziell abzufedern. Ihr Rechtsanwalt kann Sie sodann auch über die Folgen und Auswirkungen beraten, welche mit dem Erhalt einer Abfindung einhergehen und welche unbedingt im Auge behalten werden sollten.
von Robert Apitzsch 02 Sept., 2022
Das VG Aachen hatte sich im vorliegenden Fall mit der Klage eines Postbeamten auseinanderzusetzen, welcher eine Verletzung während seiner Tätigkeit als Dienstunfall anerkennen lassen wollte. Wie das VG entschied, dazu hier mehr. Was war geschehen? Der Kläger ist Postbeamter und verletzte sich im Mai 2020 während seiner Arbeitszeit. Als er ein ca. 30kg schweres Paket in das Zustellfahrzeug heben wollte erlitt er hierbei einen Abriss seiner rechten Bizepssehne. In der Folge musste sich der Kläger einer Operation unterziehen, welche zu einem mehrtägigen Krankenhausaufenthalt führte. Ein fachärztliches Gutachten, welches sich der Kläger eingeholte hatte, bestätigte, dass der Abriss im Wesentlichen durch das Einladen des Pakets eingetreten war. Anderweitige Anzeichen für eine Vorbelastung hätten nicht vorgelegen und auch die Darstellung des Operationsberichtes spreche für einen typischen, unfallbedingten Riss. Die Berufsgenossenschaft lehnte eine Anerkennung als Dienstunfall jedoch ab. Aus ihrer Sicht sei das Anheben eines 30kg schweren Pakets nicht geeignet eine Bizepssehne reißen zu lassen, weil diese weitaus größeren Belastungen standhalten könne. Es müsse daher eine unfallunabhängige Ursache in Form einer Vorschädigung vorgelegen haben. Entscheidung Das VG hatte sich folglich mit der Frage zu befassen, ob die vorliegende Verletzung als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz [BeamtVG] zu bewerten sei. Demnach ist ein Dienstunfall „ ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung des Dienstes eingetreten ist. “ An diesem Punkt setzte die Argumentation der Berufsgenossenschaft an. Indem sie den Sehnenabriss mit einer bestehenden Vorschädigung begründete, sei der Unfall nicht durch ein plötzliches Ereignis während der Dienstausübung eingetreten, sondern stelle ein anlagebedingtes, zufällig während des Dienstes verwirklichtes Leiden dar. Dieser Ansicht konnte und wollte das VG Aachen jedoch nicht folgen. Insbesondere mit Blick auf das fachärztliche Gutachten ließen sich keine Anzeichen einer Vorschädigung herleiten. Denn danach handelte es sich um einen frischen Riss der Sehne und auch die festgestellten Ausfransungen der Sehne seien für einen unfallbedingten Abriss typisch. Zudem handle es sich bei dem Anheben eines 30kg schweren Pakets mit einem Arm nicht um eine alltägliche Belastung. Letztlich war das Gericht daher der Auffassung, dass sich durch den Sehnenabriss die spezifische Gefahr der Tätigkeit eines Postbeamten verwirklicht habe und es sich eben nicht - wie von der Beklagten dargelegt - um ein zufälliges Ereignis handelte, welches auch privat hätte auftreten können. Das Gericht entschied daher zugunsten des Klägers und ordnete den Sehnenriss durch das Anheben des Pakets als Dienstunfall im Sinne des § 31 Abs. 1 BeamtVG ein.
von Robert Apitzsch 11 Aug., 2022
Mit Beschluss vom 21.07.2022 ersucht das Bundesarbeitsgericht (BAG) den Gerichtshof der europäischen Union (EuGH) um Auslegung des Unionsrechts. Es geht hierbei um die Frage, ob die Arbeitnehmerin eines katholischen Krankenhauses bereits dadurch als ungeeignet für ihre Tätigkeit anzusehen ist, weil sie vor Antritt des Arbeitsverhältnisses aus der katholischen Kirche ausgetreten war. Was war passiert? Die Beklagte gehört dem Deutschen Caritasverband an und betreibt Krankenhäuser. Die Klägerin war für die Beklagte bis Mitte 2014 tätig. Nachdem sich die Klägerin nachfolgend zunächst selbstständig machte trat sie im September 2014 aus der katholischen Kirche aus. Im Frühjahr 2019 bewarb sich die Klägerin erneut bei der Beklagten. Im Rahmen des Vorstellungsgespräches wurde ihre Kirchenzugehörigkeit nicht thematisiert. Einen in der Folge übersandten Fragebogen füllte die Klägerin wahrheitsgemäß aus, wobei sie auch den Austritt aus der katholischen Kirche angab. Die Beklagte versuchte daraufhin, die Klägerin in mehreren Gesprächen zum Wiedereintritt zu bewegen, als dies jedoch erfolglos blieb kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum August 2019. Problematisch ist hierbei, dass die Beklagte in ihren Krankenhäusern weitere konfessionslose Arbeitnehmer beschäftigt, die nicht zuvor katholisch waren. Nachdem das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben hatte, wurde diese in zweiter Instanz durch das Landesarbeitsgericht abgewiesen. Das Verfahren über die Revision, über welche nunmehr durch das BAG zu entscheiden ist, wurde zunächst ausgesetzt. Rechtliche Problematik Die entscheidende Frage für das vorliegende Verfahren ist hierbei, ob die Ungleichbehandlung der Klägerin gerechtfertigt war oder nicht. Denn andere Arbeitnehmerinnen, welche ebenfalls als Hebammen für die Beklagte tätig sind und niemals Mitglieder der katholischen Kirche waren, wurden nicht entlassen, sondern weiterhin beschäftigt. Das Vorlagegesuch des BAG bittet daher um Klärung der Frage, ob eine solche Ungleichbehandlung vor dem Hintergrund des Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Richtlinie 2000/78/EG wegen der Religion gerechtfertigt sein kann. Denn nach Art. 21 der Grundrechtecharta sind Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse […] und auch der Religion verboten. Dieses Benachteiligungsverbot findet sich dabei u.a. auch im deutschen Recht in §§ 7 Abs. 1, 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz). Berücksichtig werden muss hierbei, dass kirchliche Arbeitgeber aufgrund ihres Selbstbestimmungsrechts zum Teil die Religionszugehörigkeit ihrer Arbeitnehmer voraussetzen können. Dies bedarf sowohl nach Rechtsprechung des BAG als auch des EuGH jedoch gerichtlich überprüfbarer Gesichtspunkte. Die Konfession müsse für die jeweilige Tätigkeit „eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstellen. Ob eine solche Anforderung vorliegend gegeben war, dürfte zumindest fraglich sein, wenn es andere Arbeitnehmer nicht an der Ausübung der Tätigkeit hindert. Für die vorliegende Kündigungsschutzklage ist es daher entscheidend, ob aus Sicht des EuGH in der Kündigung der Klägerin aufgrund ihres Kirchenaustritts eine Diskriminierung gegenüber den konfessionslosen Arbeitnehmerinnen zu sehen ist oder ob die Kündigung aufgrund der religiösen Grundsätze der Beklagten als gerechtfertigt angesehen werden kann. Sobald die Entscheidung des EuGH vorliegt und die Revision durch das BAG fortgeführt wird folgen hier weitere Einzelheiten. Update: Das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht wurde durch das Anerkenntnis der beklagten Arbeitgeberin beendet. Diese folgte somit dem Kündigungsschutzantrag der Klägerin und hat diese als berechtigt anerkannt, wodurch die Kündigung als unwirksam anzusehen war und das Arbeitsverhältnis fortgesetzt wurde. Da hierdurch jedoch das Ausgangsverfahren beendet worden ist, war auch die Vorlageentscheidung des EuGH erledigt und eine Entscheidung somit hinfällig. Die für den Januar 2024 geplanten Schlussanträge der Generalanwaltschaft, welche oftmals einen Ausblick auf die Entscheidung des EuGH geben, wurden ebenfalls nicht mehr gehört. Die Beklagte und insbesondere auch die katholische Kirche könnten durch diesen Schritt ein Urteil vermieden haben, welches durchaus das Potential gehabt hätte, das kirchliche Arbeitsrecht erheblich zu verändern.
von Robert Apitzsch 09 Aug., 2022
I. Änderung Nachweisgesetz 1. Als wohl wichtigster Aspekt sollte hierbei die Änderung des Nachweisgesetzes (NachwG) beachtet werden. Das NachwG diente bisher bereits vor allem dem Schutz des Arbeitnehmers. Dieser soll seine Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag schriftlich erhalten und diese somit zur Kenntnis nehmen und wahrnehmen können. Es galt und gilt hierbei auch weiterhin die Schriftform. Bedeutsam ist diese Regelung daher insbesondere für mündlich oder elektronisch geschlossene Arbeitsverträge, doch auch Verträge welche bereits in Schriftform vorliegen, sollten die Änderungen - falls noch nicht geschehen - mit aufnehmen. Bisher mussten Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern die nach § 2 Abs. 1 S. 2 NachwG aufgelisteten Punkte innerhalb eines Monats schriftlich und unterzeichnet aushändigen. Dies betraf dabei insbesondere die Bezeichnung der Vertragsparteien, den Beginn und die voraussichtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses, sowie Arbeitsort, -zeit und die Art der zu leistenden Tätigkeit. Zudem mussten auch die Fristen für die Kündigung dargelegt werden. Durch die Gesetzesänderung werden diese Angaben nunmehr erheblich ausgeweitet. Dies beinhaltet folgende Regelungen: • die Dauer der (ggf.) vereinbarten Probezeit • Einzelheiten zum Arbeitsort: fester Arbeitsort, vom Arbeitgeber frei bestimmbar oder vom Arbeitsnehmer frei wählbar? • die Zusammensetzung des Arbeitsentgeltes einschließlich der Vergütung von: Überstunden, Zuschlägen, Zulagen, Prämien und Sonderzulagen - nun jeweils getrennt anzugeben sowie die Art der Auszahlung • vereinbarte Arbeitszeiten: nun auch Ruhepausen und Ruhezeiten sowie bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und die Voraussetzungen für die Schichtänderung • bei vereinbarter Arbeit auf Abruf: Vereinbarung, dass die Leistung nach dem Arbeitsanfall zu erfolgen hat, die Zahl der mindestens zu vergütenden Stunden, der Zeitrahmen für die Erbringung der Arbeitsleistung sowie die Frist, innerhalb welcher der Arbeitgeber die Arbeitszeit mitzuteilen hat • die Möglichkeit der Anordnung von Überstunden und deren Voraussetzungen • der Hinweis auf (ggf.) vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildungen • Name und Anschrift einer (ggf.) bestehenden betrieblichen Altersversorgung • das bei der Kündigung einzuhaltende Verfahren, hierbei mindestens : das Schriftformerfordernis, die geltenden Kündigungsfristen sowie die Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage Insbesondere der letzte Punkt hinsichtlich des Kündigungsverfahrens dürfte so in dieser ausführlichen Form bisher in den wenigsten Arbeitsverträgen vorhanden sein. 2. Des Weiteren wurde § 2 Abs. 1 NachwG um einen Satz erweitert, welcher die Frist zur schriftlichen Niederlegung - diese lag bisher bei einem Monat - aufspaltet. Während die Aushändigung der Niederschrift zu den Punkten Nr. 1, 7 und 8 am ersten Tag der Arbeitsleistung zu erfolgen hat, gilt für die Nr. 2 bis 6, 9 und 10 eine Frist von sieben Kalendertagen ab Beginn des Arbeitsverhältnisses. Für alle restlichen Punkte verbleibt es bei der Monatsfrist. Es wird sich hierbei empfehlen - wenn möglich - eine schriftliche Niederschrift der benannten Punkte direkt am ersten Tag der Arbeitsleistung zu übergeben. 3. Die oben benannten Punkte werden umso wichtiger, wenn man sich den neu eingefügten § 4 NachwG ansieht. Demnach ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur schriftlichen Niederlegung der in § 2 NachwG aufgelisteten Punkte ab sofort als eine Ordnungswidrigkeit anzusehen. Es kann daher bei einem Verstoß eine Geldbuße von bis zu 2000 Euro verhängt werden - pro fehlerhaftem Arbeitsvertrag bzw. pro fehlender Niederschrift. Mit Blick auf das weiterhin bestehende Schriftformerfordernis kann somit auch eine ansonsten vollständige Auflistung der benannten Punkte aufgrund einer fehlenden Unterschrift das Bußgeld bewirken. 4. Zwar werden die Änderungen überwiegend für neue Arbeitsverhältnisse relevant. Doch auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis vor dem 01.08.2022 bestand, können die Aushändigung der Niederschrift nach § 5 NachwG verlangen. Hierbei bestehen unterschiedliche Fristen von sieben Tagen bis zu einem Monat. II. Weitere Änderungen Doch auch abseits des Nachweisgesetzes wurden einige Änderungen beschlossen. So bestand bereits nach § 11 Abs. 1 BBiG (Berufsbildungsgesetz) ebenfalls eine Verpflichtung der Ausbildenden, die wesentlichen Inhalte des Ausbildungsvertrages schriftlich niederzulegen. Auch hier wurden die erforderlichen Bedingungen, welche in der Niederschrift aufgeführt sein müssen, erweitert. Das Bußgeld wurde für einen Verstoß gegen die Vorgaben des § 11 Abs.1 BBiG auf zweitausend Euro festgelegt. Weitere Änderungen erfolgten zudem hinsichtlich der Handwerksordnung, der Gewerbeordnung und des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Hierzu wird es jedoch in einem gesonderten Artikel weitere Informationen geben. Fazit Es bleibt festzuhalten, dass es die Gesetzesänderung durchaus gut meint, in Teilen jedoch weit über das Ziel hinausschießt. Zwar mussten die Vorgaben der EU-Richtlinie 2019/1152 letztlich umgesetzt werden, man fragt sich insbesondere mit Blick auf die Änderungen des Nachweisgesetzes jedoch, wieso die Änderungen der Richtlinie zum Teil ausgeweitet wurden. Insbesondere die verbleibende Verpflichtung zur Schriftform wird hierbei kritisch betrachtet - zumal die Richtlinie an sich sogar die elektronische Form zulässt. Durch das drohende Bußgeld besteht im Hinblick auf diese Gesetzesänderung jedenfalls dringender Handlungsbedarf.
von Robert Apitzsch 16 Juli, 2022
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich vorliegend mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der gesetzliche Mindestlohn auch für ein Pflichtpraktikum zu zahlen ist, welches nach hochschulrechtlichen Bestimmungen Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme eines Studiums ist. Sachverhalt Dem Urteil lag dabei folgender Sachverhalt zu Grunde. Die Klägerin beabsichtigte, an einer staatlich anerkannten, privaten Universität den Studiengang Humanmedizin zu belegen. Nach der hierbei geltenden Studienordnung bestand jedoch die Zulassungsvoraussetzung, dass die Klägerin im Vorfeld einen sechsmonatigen Krankenpflegerdienst absolvierte. Die Klägerin leistete diesen Krankenpflegerdienst bei der Beklagten - bei welcher es sich um die Betreiberin eines Krankenhauses handelt - zwischen Mai und November 2019. Eine Vergütung wurde zwischen den Parteien nicht vereinbart. Die Klägerin machte nunmehr den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) in Höhe von 10.269,85 EUR geltend. Sie habe täglich 7,45 Stunden bei Geltung einer Fünftagewoche geleistet. Das Vorpraktikum zur Aufnahme des Studiums stelle zudem kein Pflichtpraktikum im Sinne des MiLoG dar, weshalb auch die dort geregelte Ausnahme vorliegend keine Anwendung finde. Die Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen, weshalb die Klägerin nunmehr die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht einlegte. Entscheidung Doch auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte die Klägerin mit ihrer Revision keinen Erfolg. Das Gericht entschied, dass der gesetzliche Mindestlohn nicht für Pflichtpraktika Anwendung findet, welche nach hochschulrechtlichen Bestimmungen Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme des Studiums sind. Die Klägerin falle demnach schon gar nicht unter den persönlichen Anwendungsbereich des Gesetzes. Zwar gelten Praktikanten nach § 22 Abs. 1 S. 2 MiLoG durchaus als Arbeitnehmer im Sinne dieses Gesetzes, jedoch werden hiervon Ausnahmen festgelegt. Dies betrifft nach § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 dabei unter anderem jene Praktikanten, deren Praktikum aufgrund einer […] hochschulrechtlichen Bestimmung geleistet wird. Hierbei komme nach Ansicht des BAG in der Gesetzesbegründung des Gesetzgebers deutlich zum Ausdruck, dass diese Regelung nicht nur die obligatorischen Praktika während eines Studiums, sondern auch solche im Vorfeld des Studiums betreffe. Diese Praktika müssten in der Studienordnung als Zulassungsvoraussetzung verpflichtend vorgeschrieben sein, was im vorliegenden Fall gegeben war. Auch das es sich bei der Universität um eine private Hochschule handle, ließe keine andere Bewertung zu. Denn die Universität, an der die Klägerin das Studium aufnehmen wollte war zwar privat, hierbei aber staatlich anerkannt. Deren erlassene Studienordnung sei demnach mit der Studienordnung einer öffentlich-rechtlichen Universität gleichzusetzen. Fazit Es bleibt somit festzuhalten, dass der Mindestlohn zwar grundsätzlich auch für Praktikanten Anwendung finden kann. Sofern das Praktikum jedoch im Rahmen eines Studiums oder als Voraussetzung für ein solches absolviert wird und in der Studienordnung festgesetzt ist, so gelten die dargestellten Ausschlussgründe.
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